Wasserspringerin Jette Müller (20) aus Rostock erlebt in Paris ihre ersten Olympischen Spiele / Unterstützt wird sie von vielen Familienmitgliedern – nur ihr Freund muss passen
Von Christian Lüsch
Rostock. Ihre Liebsten werden (fast) alle dabei sein, wenn Jette Müller am 27. Juli den größten Wettkampf ihrer Karriere hat. Im Wassersportzentrum Saint Denis in Paris werden die Augen von 5000 Zuschauern auf die erst 20-jährige Rostockerin gerichtet sein. Die Wasserspringerin tritt gemeinsam mit Lena Hentschel im Synchronspringen vom Dreimeterbrett an.
„Ich bin riesig gespannt. Und ich bin froh, dass meine Eltern, Großeltern, Onkel und Tante dabei sein werden“, sagt die junge Frau. Die geballte Familienpower soll das Lampenfieber dämpfen. Jettes Eltern, Uwe und Jana, überließen nichts dem Zufall. Sie kauften sich die Tickets fürs olympische Wasserspringen zu einem Zeitpunkt, als noch nicht hundertprozentig feststand, dass ihre Tochter dabei sein würde. Neben den Kosten für Anreise und Hotel haben alle Familienmitglieder 330 Euro für jedes Finalticket ausgegeben.
Durch das frühe Buchen entstanden mehr Kosten als nötig. Denn als Finalistin hätte Jette die Chance gehabt, aus dem „Friends and Family“- Kontingent ermäßigte Eintrittskarten zu besorgen – doch das konnte damals niemand ahnen.
Mit der Unterstützung der Familie kann sie sich jetzt ganz auf ihre fünf Sprünge konzentrieren, die sie mit ihrer Berliner Partnerin für das Olympia-Finale von Paris einstudiert hat.
Die Rostockerin, die seit ihrem fünften Lebensjahr für den Wasserspringerclub ihrer Geburtsstadt antritt, wird bei ihrer Olympia-Premiere mindestens Achte im Synchron-Wettbewerb werden. Viele wollten dabei sein, aber nur die besten acht Nationen konnten sich qualifizieren. „Der Kampf um die Plätze war hart. Lena und ich haben ihn für Deutschland bestanden“, erzählt Jette, die im Sommer 2023 ihr Abi am Christophorus-Gymnasium in Rostock gemacht hat und seit September in der Sportfördergruppe der Bundeswehr für Olympia trainiert.
Kurz zuvor hatte sie sich die Sinnfrage gestellt, sogar daran gedacht, mit dem Sport aufzuhören. Seit sie ein Kind ist, bestimmt Wasserspringen Jette Müllers Leben. „Ich hatte in den letzten Jahren oft zweimal am Tag Training, am Wochenende Wettkämpfe – und meistens nur einen freien Tag für Freunde und Familie.“
Wenn man mit Jette Müller sprich, wird klar, dass sie lebenslustig ist. Sie ist eine gute Erzählerin, die mit ihrer Geschichte fesselt. In den zurückliegenden 14 Jahren sei sie in jedem Training in der Neptun-Schwimmhalle 100-mal ins Wasser getaucht. Macht 900 Sprünge pro Woche und fast 13 000, seitdem sie Wasserspringen als Leistungssport betreibt. „Manchmal habe ich mich gefragt: Warum mache ich das? Wer hat sich das ausgedacht? Immer wenn ich aus der Halle raus bin – also jeden Tag –, waren meine Haare nass.“
Als junges Mädchen habe sie sich durchbeißen und oft überwinden müssen. Vor einem Sprung vom Dreimeterbrett hatte sie jahrelang Bammel. „So viele Salti und Schrauben. Manchmal habe ich die Orientierung verloren“, beschreibt sie einen dreieinhalbfachen Salto vorwärts, der gehechtet gesprungen wird – und bei dem sie so manches Mal mit ihren Oberschenkeln oder dem Bauch auf dem Wasser aufschlug. „Gefühlt dreitausendmal“, sagt Müller und verzieht ihr Gesicht, als spüre sie den Schmerz in diesem Moment. Als sie Motivation und Antrieb für den Sport zu verlieren schien, überzeugte Bundestrainer Christoph Bohm sie im Vorjahr, weiterzumachen.
„Ich freue mich, dass Beharrlichkeit Jette zum Erfolg geführt hat. Sie ist ein Sonnenschein. Eine, die nicht zu verbissen ist und mit ihrer Art jeder Gruppe guttut“, meint Monika Dietrich. Jette ging in die 5. Klasse, als sie in die Trainingsgruppe der mittlerweile pensionierten Bundestrainerin am Olympiastützpunkt Rostock kam. Zu sehen, dass ihr früherer Schützling unter Coach Michail Sachiasvili die Weltspitze erobert hat und beim größten Sportevent der Welt dabei sein wird, erfülle sie mit Stolz.
Die Wasserspringerin, die sich an der Rostocker Uni für Kommunikations- und Medienwissenschaften eingeschrieben hat und nach den Spielen im Studium mehr schaffen will, wird in Paris auch im Einzel vom Dreimeterbrett antreten. Es ist eine kleine Sensation, dass sie sich in so jungem Alter für das Duell der 26 weltbesten Wasserspringerinnen qualifiziert hat.
Einer, den sie von Herzen gern dabeigehabt hätte, wird am 7. und 8. August am Fernseher zuschauen und Jette die Daumen drücken: Fußball-Profi Joshua Krüger. Der 20-Jährige kickt dann schon mit Hansa Rostock in der 3. Liga.
Die beiden sind in eine Schulklasse gegangen und seit Dezember 2022 ein Paar. Sie wohnen zusammen im Hansaviertel, in der Nähe von Ostseestadion und Schwimmhalle. „Er ist immer für mich da, unterstützt mich, tröstet mich oder bringt mich zum Lachen“, erzählt Jette.
Bei ihrer Olympia-Premiere will sie versuchen, ihre Nerven zu bändigen und ihre beste Leistung abzurufen. Am Freitag fliegt sie von Berlin nach Paris – mit großer Vorfreude und ein bisschen Aufregung vor dem größten Wettkampf ihrer Karriere.
Quellenangabe: Rostock vom 17.07.2024, Seite 20
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